Dienstag, 11. Oktober 2011

Tolle et lege. Umberto Eco: Der Name der Rose oder: Literatur und Wissenschaft

Umberto Eco:  Der Name der Rose oder: Literatur und Wissenschaft 


Umterto Ecos großer Historienroman. Schwergewicht im Ring. Wunderbare Welt, wenn man sie sich vorstellt. Grausige Passagen. Viel Wissen, nicht alles unbedingt wissenswert. Deswegen: ein Musenbuch, wie Thomas Manns Bücher, ein Gelehrtenroman. Man spürt die Freude am Schreiben, die Eco hat.



Immer schon ist die Literatur der Wissenschaft nachgegangen und umgekehrt. Sei es die spekulative Imaginationskraft eines Jule Vernes, der Unterseeboote und Montgolfieren für die Befriedigung der Neugierde seiner Leser imaginierte, bevor die technische Wissenschaft sie tatsächlich auf die Weltmeere und die Lüfte losließen, oder sei es die kalte Fusion in dem Drehbuch „Chain Reaction“, die letzendlich doch nicht kalt bleibt, sonder im Gegenteil ganz heiß läuft: Die Verknüpfungen und wechselseitigen Bezugnahmen zwischen Literatur (Kunst im weiteren Sinne) und Wissenschaft sind mannigfaltig. Die Bücher, die kanonisch genannt werden, wenn es um die Verknüpfung von Wissenschaft und Ethik sind, sind Dürrematts „Die Physiker“ (1961) und Bertolt Brechts „Galileo Galilei“. Letzteres wiederum schrieb Brecht nach den Zündungen der Wasserstoffbomben in Hiroshima und Nagasaki (6. und 9. August 45) um, ebenso wie Dürrematts Physiker explizit auf diesen Kontext und den Wahnsinn in der und um die Wissenschaft deutlich machen.
Allerdings handelt es sich bei den genannten Bezugnahmen explizit um technologische und naturwissenschaftliche Wissenschaft, die behandelt wird.
Anders ist es bei Umberto Eco. In seinem Bildungs- und Historienroman „der Name der Rose“ (warum der Titel? - Curiositas?) versetzt er sich und seine Leser realistisch in das ausgehende Mittelalter. Genauer: In ein Kloster (kein Minoritenkloster, sondern ein Benediktiner-Kloster). Dort geschieht eine Reihe mysteriöser Morde, die die Forschungen Williams anfordern und gleichwohl in ihren Bann ziehen. Im Laufe des Handlung stellt sich heraus, dass sich alles um ein Werk des Aristoteles handelte: der zweite Band der Poetica, eine Abhandlung über die Komödie. Jorge, quasi ein Urgestein des Klosters, und ein selbsternannter Hüter der rechten Ordnung (orthodoxa) verhindert auf allen ihm möglichen Wegen, dass dieses Buch und die Spekulationen, die darin stehen, aus den Mauern der Bibliothek herausgelangen. Er geht soweit dafür zu morden.
Es zeigt sich in diesem Buch der Urkonflikt zwischen Macht und Wissenschaft.
Curiositas ( eine Todsünde ) trifft auf den konservativen Behüterwillen, auf rigorosen Doktrinismus. Entwicklung und Fortschritt auf die Bremskraft des Konservatismus.
William ist ein aufklärerischer, von den Gesetzen der Logik und der Wissenschaft geleiteter Mann. Dementsprechend gerät er auf in Kollisionskurs mit Jorge oder mit dem Abt, der unter anderem fortschrittsfeindlich ist, weil er fürchtet, die Macht, die die Kirche zum einen über ihren Glaubensapparat und dessen Einschüchterungstechniken, zum andern über das Wissen, das in ihren Bibliotheken gesammelt ist, zu verlieren. Und so deutet sich bei Umberto Eco an, was im Galileo von Brecht ausgeführt ist: Die Angst der Wissenschaft vor der Autorität. Die Gefahr von ihr unterdrückt zu werden (Galieo Frühversion), oder die Gefahr von ihr ausgenutzt zu werden (Oppenheimer, Physiker. Eco lässt den Wissenschaftler, William, über Jorge triumphieren. Allerdings geht er nur moralisch als Sieger aus dem Wettkampf der beiden Prinzipien Fortschritt und Konservierung, bzw. Glaube und Wissenschaft hervor. Und auch in Ecos Mittelalterroman heißt legt William eine sehr pragmatische Position zu Tage, wenn er einmal sagt:
    Die Wissenschaft besteht nicht nur darin, zu wissen, was man tun muß oder kann, sondern auch, was man tun könnte, aber lieber nicht tun sollte.
Dies ist das Spannungsfeld, in dem sich der Wissenschaftler bewegt. 

Kein Wunder also, dass die Gegenposition des doch einfältigeren und demütigeren Erzählers Adsons in dem Roman wie Balsam auf die Seele wirkt:
 O quam salubre, quam iudicundum, quam suave est sedere in solitudine et tacere et loqui cum deo.
(Sinngemäß: "Oh welch Labsal, welch Freude und wie süß ist es, zu schweigen und in Einsamkeit zu sitzen und zu schweigen und zu sprechen mit Gott")